ANDACHT

MARIA
Alle deine Träume und Pläne durchkreuzt.
Warum? Warum du?
Ist das nicht zu viel des Guten?
Was würde ich machen an deiner Stelle?
Du vertraust deinem Engel.
Du gibst dich hin dem Gott,
der auf krummen Wegen gerade schreibt.
Du bist die Mutter des Glaubens für mich.

- Reinhard Ellsel

Die Hirten, die drei Weisen oder gar Engel werden sofort mit Weihnachten assoziiert, obgleich diese uns durchaus auch an anderen Stellen begegnen, in der Bibel wie im täglichen Leben. Maria aber, als konkrete Person, ist viel weniger nur in der Weihnachtsgeschichte beheimatet. Die Mutter Jesu wird in katholischer und orthodoxer Tradition als Gottesmutter verehrt und bietet überdies in einer männlich dominierten Vorstellungswelt der christlichen Tradition eine Möglichkeit der Identifikation und Orientierung besonders für Frauen. Das ist im besten Sinne evangelisch, wenn man dabei von den Spitzen einer ausgeprägten Heiligenverehrung absieht. Man muss keineswegs Katholik oder dezidierte Feministin sein, um der Figur der Maria etwas abgewinnen zu können. Wenn Jesus sie bei dem anzunehmen - dem Versuch, ihn nach Hause zurückzuholen, abgewiesen hat (Mk3:31-35), dann soll das die Rolle der Familie im Gegenüber zur Bedeutung des Gottesreiches relativieren, nicht aber sie als Person desavouieren. Sterbend am Kreuz sorgt er immerhin noch für ihre Alterssicherung (Joh 19:26f).
Im Zusammenhang mit der Geburt Jesu rückt nun allerdings neben der Ärmlichkeit und Bedrohtheit der jungen Familie und dem damit verbundenen Vertrauen in Gottes Hilfe besonders die Demut Mariens in den Blickpunkt, die in der Ankündigung der Geburt durch den Engel deutlich und im Lobgesang der Maria (dem Magnificat) ausgesprochen wird. Neben einer Abwertung der Sexualität hat auch eine Herabstufung der Frau hier viel zu lange eine – scheinbare – Begründung gefunden. Dem ist am besten mit Paulus zu begegnen, dem wohl nicht zu oft Feminismus vorgeworfen worden sein dürfte, mit „Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.“ (2.Kor12:9).
Maria sind wohl ähnlich viele Interpretationen und Zuschreibungen zuteilgeworden wie ihrem Sohn. Aber sie hält das aus, solange sie nicht auf eine Sichtweise eingeschränkt wird. Kein Mensch wird aus nur einer Perspektive richtig gesehen. Was Maria in der Weihnachtsgeschichte besonders verkörpert, ist die Mütterlichkeit Gottes, die in der Bibel leider nur selten so benannt wird. (Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Jes 66:13)
Sie zeigt uns den Gott, der Leben schafft und nährt, der behütet und bewacht, der tröstet und stärkt, ganz unabhängig davon, ob man diese Tätigkeiten als typisch weiblich ansieht.  Und sie zeigt uns den Menschen, der Gottes Ratschluss anzunehmen bereit ist. Sie ist die, die um ihren Sohn sich ängstigend oder trauernd dennoch schließlich Gottes Weg mitzugehen bereit wird – was wir Demut nennen.
Kann ich solcher Demut etwas abgewinnen? Kann ich es deutlich unterscheiden von jeder Art bloßen Hinnehmens alles Gegebenen? Gerade jetzt in einer Zeit, da mit Kriegen und Umweltzerstörung die Welt und die Menschen sich mehr von Gott zu entfernen scheinen? Sind jetzt nicht eher Kämpferqualitäten gefragt als demütiger Fatalismus?
Für eines steht Maria sicher auch, was unserer Kirche und Welt guttut: Gefühl. Unsere lutherische Theologie tut sich damit schwer, weil Gefühl sich eben nicht klar belegen oder definieren lässt. Um so wichtiger ist es, nicht nur zu Weihnachten. Als ich nach einem Marien-Bild für die Titelseite zu suchen begann, fand ich hauptsächlich Kitsch, d.h. ein Übermaß an bloßem Gefühl. Darum wohl ist diese Andacht so kopflastig geworden, obwohl Maria das nun gerade nicht ist.

Ihr Pfarrer Gabriel Beyer